Der Reiz des Distanzreitens 

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1976 machten sich 96 Reiter mit fast doppelt so vielen Pferden auf einen abenteuerlichen Distanzritt von 6000 km durch Amerika. Unter  ihnen befanden sich 6 deutsche Starter mit ihren 12 Islandpferden. „ Die Isländer sind als einzige Gruppe vollzählig durchs Ziel gegangen und haben sich damit als die ausdauerndste, geschlossene Langstreckengruppe der  westlichen Welt erwiesen“ ( aus: Freizeit im  Sattel (1976)  Das Rennen der Superlative, 6000 km durch Amerika). Ein ausführlicher  und spannender Erfahrungsbericht über ein Distanzrennen. Namen wie Ursula Bruns,  Walter Feldmann, Johannes Hoyos, Lothar Schenzel und Linda Tellington, nicht nur in der Islandpferdeszene klangvolle Namen, begleiteten und lebten dieses Abenteuer.

Aus dem „Aufruf zum Heyde-Distanzritt – Marathon zu Pferd“ des IPZV, 2007

Distanzreiten unterscheidet sich von fast allen anderen Wettkampf-Disziplinen im Islandpferdesport dadurch, dass es in der Natur ausgetragen wird.

Das richtige Einschätzen des Partners Pferd und seiner Ausdauer erfordert eine gute Kenntnis seiner Verfassung und Möglichkeiten: Es geht darum, eine Strecke von mindestens 20km möglichst schnell abzureiten, aber um die Kondition und die körperliche Verfassung der Pferde zu überprüfen, gibt es unterwegs eine unangekündigte Pulskontrolle, wo man erst dann weiterreiten darf, wenn das Pferd den vorgegebenen Wert von 72 hat. Auch im Ziel läuft die Zeit weiter, bis das Pferd einen Puls von 64 hat. Ein körperliches Überfordern des Pferdes ist also kontraproduktiv und macht sich im Ergebnis als „Strafminuten“ bemerkbar. Bei gut trainierten Pferden geht der Puls jedoch auch nach körperlicher Anstrengung sehr schnell runter. 

Neben dem sportlichen Aspekt erinnert uns Distanzreiten aber auch an eine andere Zeit und den Ursprung des Reitens – nämlich als Pferde noch dazu benutzt wurden, ihren Reiter über längere Distanzen von A nach B durch teilweise unwegsames Gelände zu tragen. Beim Distanzreiten gilt es, kräftesparend und ökonomisch mit den Ressourcen des Pferdes umzugehen, und es selbst die Gangart wählen zu lassen, in der es am besten über viele Kilometer durchhält. Das kann Tölt oder Trab sein, und zwischendurch wird auch mal ein wenig galoppiert – aber alles entspannt, im Entlastungssitz am leicht hingegebenen Zügel.

Für das Distanzreiten bedarf es also eines Pferdes, das von sich aus genug Gehwillen mitbringt, um auch über längere Strecken motiviert zu bleiben, es sollte aber gleichzeitig gute Nerven haben, damit es sich nicht unnötig aufregt, dadurch Energie verschwendet oder seinen Puls durch Stress in die Höhe zu treibt. Auch der Reiter sollte über körperliche Fitness verfügen und sein Pferd nicht in der Bewegung behindern.

Katja Semrau, die seit 2013 regelmäßig an Distanzritten teilnimmt und bei der zweiten Laxnes Distanz 2023 als Organisatorin fungierte, kam zum Distanzreiten, weil sie damals einen Islandwallach hatte, der nicht töltete, aber ansonsten über viel Ausdauer und Vorwärtsdrang verfügte. So nahm sie mit diesem Pferd zunächst am Laxnes-Distanzritt, später auch an Ritten des VDD (Verein deutscher Distanzreiter) auf Distanzen bis zu 40km teil und ist seither von den Vorteilen des Ausdauertrainings für Pferde überzeugt.

„Unter Distanzreitern ist alles unter 40km eigentlich eine Kurzstrecke“ sagt sie. Bei ihrer aktuellen Rennpass-Stute Pandóra frá Katulabo benutzt sie das Distanztraining als Konditionsaufbau. Denn auch für die Pass-Strecke müssen Passpferde über genügend Ausdauer verfügen – auch wenn sie dort eher ihre Sprint-Qualitäten zeigen. 

Doch gemeinsam haben insbesondere Passrennen und Distanzreiten die dafür erforderliche gute Grundkondition des Pferdes. 

Auch auf Helmut Bramesfelds Speedpass-Weltmeister Blöndal vom Störtal hatte das Distanzreiten auf den Laxnes-Ritten positive Auswirkung: Er konnte sich unter anderem darüber die Ausdauer und die Zusammenarbeit mit seinem Wallach erarbeiten, was ihm dann für die Abrufbarkeit auf der Pass-Strecke zugute kam.

Auch hier kommt es schlussendlich auf das genaue Arbeiten mit den Ressourcen des Pferdes an – wenn auch nur über wenige Sekunden, die dann aber über den Erfolg eines Laufs entscheiden.

Bei den ebenfalls pferderassenübergreifend ausgeschriebenen Distanzritten des VDD gelten teilweise andere Anforderungen: die kürzeren Distanzen unter 40km sind hier „Pulsritte“, d.h. es gibt eine vorgeschriebene Zeit, z.B. drei Stunden für 30km Stunden, und es gewinnt das Pferd, welches die niedrigsten Pulswerte bei den insgesamt vier Kontrollen erreicht, es ist also kein Rennen, sondern es gewinnt das Pferd mit der besten Kondition.

Es gibt hier natürlich Pferderassen, die aufgrund ihrer Veranlagung den Islandpferden gegenüber was Schnelligkeit anbelangt im Vorteil sind, dennoch konnte Katja Semrau mit ihrer Pandóra bei den Kleinpferden schon diese 30km Distanz gewinnen. 

Wenn man recherchiert, findet man tatsächlich, dass zwar nicht das schnellste Distanzpferd, aber das mit den meisten jemals gelaufenen Kilometern zumindest bis 2014 ein Islandpferd war. Hier zeigt sich die ursprüngliche Härte unserer Pferde, der sie ihre Existenz durch die Jahrhunderte auf der Insel aus Feuer und Eis verdanken, wo bis in das letzte Jahrhundert Menschen mit ihnen durch unwegsames Gelände über weite Distanzen reisten.

Um die Laxnes Ritte hat sich eine Gemeinschaft von begeisterten Distanzreitern gebildet, die bei fast jedem Ritt dabei sind, denn „das schöne am Laxnes-Ritt“ sagt Katja Semrau, „ist das Miteinander. Es wird zusammen geritten und zusammen gegessen. Du verbringst den ganzen Tag miteinander.

Der Sport ist zwar wichtig, aber das Miteinander hat den gleichen Stellenwert. Und du bist mit deinem Pferd nicht nur fünf Minuten auf der Bahn, sondern du bist mit ihm mindestens zwei Stunden unterwegs in dieser Prüfung.“

In diesem Sinne hoffen wir, dass sich in Zukunft vielleicht noch mehr Menschen aus der Islandpferdewelt für das Distanzreiten interessieren und begeistern können.