Nachdem das Jahr 2020 im März für uns alle so völlig unerwartet aus den Fugen geriet, hätte ich niemals gedacht, dass es für mich einen doch so überraschend positiven Ausgang nehmen würde. Nach mehreren Urlaubsreisen in die Heimat unserer Islandpferde wurde es zu meinem großen Wunsch, einmal für mehrere Wochen auf einem Islandpferdehof direkt vor Ort zu arbeiten. Von Anfang an verliebte ich mich in dieses Land mit seinen ungewöhnlichen Naturschauspielen und habe mich auf der Insel zu Hause gefühlt!
Die Skepsis meiner Familie war am Anfang groß: wer würde sich darauf einlassen und die Verantwortung übernehmen, ein Mädchen mit Handicap aufzunehmen? Wie würde ich die Herausforderung der Reise ganz alleine meistern? Trotz Flugangst alleine den Flug überstehen?
Mein Wunsch, dieses Abenteuer zu starten, war jedoch weitaus größer als die Bedenken und somit stand für mich fest, die Reise anzutreten. Die Suche nach einem Hof begann! Verständlicherweise waren manche Hofbesitzer zu skeptisch und besorgt, um mich aufzunehmen. Die Verantwortung war für sie einfach zu groß und das Einschätzen der tatsächlichen Einschränkungen durch meine Sehbehinderung fiel schwer.
Meine bevorzugte Anfrage jedoch landete bei Erla Tryggvadóttir auf Hvoll 2 in der Nähe von Selfoss. Sie war bereits Follower meiner Instagram Seite Isi_hradi und konnte sich so von meinen Reitkenntnissen und Erfahrungen vorab schon mal ein Bild machen. Für sie war es von Anfang an keine Frage, mir diese Erfahrung zu ermöglichen und mich für 6 Wochen aufzunehmen. Für diese uneingeschränkt positive Einstellung bin ich ihr nach wie vor von Herzen dankbar!
Das Abreisedatum Anfang September rückte näher, die Betreuung von Hradi war durch meine Mutter gesichert, die Koffer fast schon gepackt, die Flughafenbegleitung gebucht, als die Hiobsbotschaft eintraf: Neue Einreisebedingungen auf Island! Konkret bedeutete dies, dass jeder Einreisende nun zwei Corona Tests durchführen lassen und sich zwischen den Tests für 5 Tage in Quarantäne begeben musste.
Die Reise drohte zu scheitern. Wie sollte ich das alles managen? Eine Quarantäneunterkunft finden, wie vom Flughafen aus dorthinkommen? Da ich ja selber kein Auto fahren kann und der öffentliche Nahverkehr nicht benutzt werden durfte, brauchte ich außerdem eine Gelegenheit, zum zweiten Test zu kommen. Doch auch hier erwies sich Erla als rettender Engel. Sie kümmerte und bemühte sich und stellte mir eine Wohnung mit gefülltem Kühlschrank in der Nähe des Hofes zur Verfügung, in der ich die Quarantäne ableisten konnte. Vom Flughafen aus musste ich dann ein Taxi zur Unterkunft nehmen, da auch Privatfahrten verboten waren. Ebenso ging es zum zweiten Test in Selfoss.
Nach 2 negativen Testergebnissen durfte ich meine Quarantäne dann am Abend des 6. Tages beenden und das Abenteuer Island konnte richtig beginnen.
Auf dem Hof angekommen, wies mich meine Mitpraktikantin in die täglichen Arbeiten ein. Unsere Aufgaben waren unter anderem das tägliche Füttern der Pferde und das Misten der Boxen, das Trainieren der Verkaufs- und Berittpferde, Jungpferde an Sattel, Trense und das Reitergewicht gewöhnen und das anschließende Anreiten. Einige Pferde mussten für den Export vorbereitet werden und Andere auf die umliegenden Weiden verteilt werden.
Am Anfang fühlte ich mich zunächst doch etwas überfordert mit der ungewohnt anstrengenden Arbeit und ich merkte auch, dass ich manche Dinge auf Grund meines Handicaps leider nicht so schnell oder eben auch gar nicht erledigen konnte wie meine Mitpraktikantin es tat.
So war es kaum möglich für mich, mit dem schweren Mistkarren die schmale Rampe hoch zum Misthaufen zu treffen oder ein Pferd auf Sicht von einem großen Feld zu holen. Beim Einsortieren der Pferde in ihre Boxen war es zu Beginn auch noch schwer, die richtigen Paarungen zusammen zu stellen, wenn die Pferde dieselbe Farbe hatten. Unter vielen Rappen den Richtigen finden? Gar nicht so einfach.
So kamen in mir Zweifel auf, ob ich überhaupt eine richtige Hilfe sein konnte oder doch eher eine Belastung war, da ich eben für manches einfach etwas mehr Zeit und mehr Anleitung benötigte.
Hier zeigte sich auch eine positive Auswirkung von Corona – wir erlebten diese einmalige Insel so, wie sie wohl kaum mehr jemand erleben wird … nämlich nahezu menschenleer. Auch mein großer Wunsch, endlich einmal Polarlichter zu sehen, erfüllte sich, ein unvergessliches Erlebnis!
Bei der Arbeit mit den Pferden wuchs mir ein Verkaufspferd mit der Zeit ganz besonders ans Herz. Der 6-jährige Wallach Ísberg frá Efra-Langholti wurde zu meinem täglichen Begleiter und ich genoss die Ausritte mit ihm immer mehr, zumal mir meine Mitpraktikantin tolle Tipps geben konnte, um noch besser mit ihm umzugehen da sie dieses Pferd bereits schon mehrere Monate unter dem Sattel kannte.
Der Wunsch nach einem zweiten Pferd war bei mir zwar schon länger vorhanden, jedoch ist es eben nicht so einfach ein Pferd zu finden, welches genau zu mir passt und trotz meiner Sehbehinderung genau auf mich zugeschnitten ist. Mit meinem Hradi habe ich ja ein solches Herzenspferd gefunden. Nun bahnte sich hier auf der Insel meiner Träume eine zweite Herzensgeschichte an.
Ich hatte hier die einmalige Gelegenheit, ein Pferd über Wochen in allen Lebenslagen kennen zu lernen, beim Reiten, auf der Weide, beim täglichen Umgang, beim Verladen, beim Reiten in der Halle, zu der Erla uns extra mit dem Hänger hingefahren hat um ihn auch in dieser Situation kennenzulernen. Der kleine Braune wuchs mir immer mehr ans Herz und so stand am Ende der Entschluss fest: Ísberg kommt mit mir nach Deutschland.
Eigentlich hatte ich gar nicht geplant, ein Pferd auf Island zu kaufen, aber das Schicksal geht manchmal eigene Wege. Ich freue mich sehr darauf, was die Zukunft noch alles für Hradi, Ísberg und mich bereit hält und hoffe, dass wir 3 zu einem tollen Team zusammenwachsen!
Im Nachhinein bin ich sehr stolz, dass ich dieses große Abenteuer trotz aller anfänglichen Schwierigkeiten so gut meistern konnte und danke vor allem Erla dafür, sie hat nie daran gezweifelt, dass ich das alles schaffe, mir immer größten Respekt gezollt hat und mich liebevoll in ihrer Familie aufgenommen hat. In meiner Mitpraktikantin habe ich über die gemeinsamen Wochen eine ganz liebe Freundin gefunden und zum Schluss musste ich auch nicht alleine zurück nach Deutschland fliegen, sondern habe die Heimreise mit ihr zusammen angetreten.
Es war eine unvergessliche Zeit! Ich vermisse die Insel schon jetzt und kann es kaum erwarten, wiederzukommen! Hoffentlich irgendwann auch erneut zu Erla und ihrer Familie auf Hvoll 2.